Ein
Bäcker im Krankenhaus
„Du, meine Nase blutet wieder.“
„Ich versuch es mal mit einem Druckverband, wie ich
ihn in der Klinik gesehen habe. Warte einen Moment. Und wenn sie in 3 Stunden
noch blutet, fahren wir in die Klinik in Wiesbaden.“
„Gut, danke.“
Gesagt, getan. Ich bastelte einen Druckverband aus
einem Taschentuch und wir brachten ihn an seiner Nase an. Als die Blutung nach
3 Stunden immer noch nicht aufgehört hatte, riefen wir eine Verwandte an und
fuhren in die Klinik.
In der Notaufnahme mussten wir einen Moment warten,
aber da an diesem Abend nicht viel los war, kamen wir nach einiger Zeit dran
und mein Freund wurde von dem HNO-Arzt behandelt.
Ich musste an die letzte Einweisung denken, zu der wir
mit dem Notdienst gefahren waren. War das ein Stress gewesen, vor allem, da
mein Freund sich immer ein Tuch unter die Nase halten musste und sich deshalb
nicht frei bewegen konnte. Dagegen war es dieses Mal ja ein richtiger
Spaziergang geworden.
Trotzdem musste er ein paar Tage zur Beobachtung in
der Klinik bleiben. Nachdem ich meinen Freund mit ordentlich verbundener Nase
wieder in Empfang genommen hatte, fuhren wir mit dem Lift in die oberen Etagen.
Auf der Station warteten wir einen Moment vor dem
Empfang, bis uns der Krankenpfleger, der Dienst hatte, freundlich bat, sich auf
die Stühle gegenüber der Empfangstheke zu setzen und zu warten, bis jemand Zeit
hätte, um meinem Freund ein Bett zuzuweisen.
Dies taten wir auch, und ich sah mich um. An einer Tür
auf meiner linken Seite summte es. Es war noch eine weitere Krankenpflegerin
auf der Station und beide waren sehr beschäftigt. Sie gingen in die
verschiedenen Zimmer, bereiteten mal eine Infusion vor und schoben sie in ein
Zimmer, füllten Wasserflaschen auf, um sie irgendwo hin zu bringen – anscheinend
waren wir in die Rushhour geraten.
„Hier wäre eine Einsatzmöglichkeit für einen der
Angestellten der Bäckerinnung“, schoss es mir durch den Kopf. Aber leider hatten
die Angehörigen der sozialen Berufe wegen dem Personalmangel zu viele
Überstunden machen müssen, und deshalb noch keine Zeit für einen Backkurs
gefunden, so dass sie die Bäcker nicht hatten entlasten können. Für diese hatten
sich daher noch keine Freiräume für den sozialen Bereich aufgetan, so dass wir jetzt
warten mussten und die beiden Krankenpflegekräfte beobachten konnten, wie sie von
einem Raum zum anderen wieselten.
Nur den Typen, der hinter dieser Tür auf meiner linken
Seite lag, schienen sie nicht zu mögen. Er klingelte die ganze Zeit, und keiner
der beiden ging in diesen Raum.
Ein Herr mit einer Pudelmütze, auf die zwei große
Kulleraugen gehäkelt waren, kam an uns vorbei. Die Kulleraugen starrten mich
durchdringen an. Ich starrte einen Moment zurück und dachte: Komischer Kauz mit
komischer Mütze.
Mein Freund sah ungeduldig auf die Uhr.
Mit meinem typischen Galgenhumor meinte ich: „Soll ich
Platz machen? Dann kannst du dich schon mal auf die Stühle legen, und brauchst
kein Krankenbett.“
Während mein dummer Spruch bei meinem Freund keine
Gemütsregung hervorrief, hatte wohl der Krankenpfleger, der gerade an einer
neuen Infusion bastelte, etwas gehört. Auf jeden Fall grummelte er so etwas
wie: „Kann ja nicht überall sein.“
Was musste der auch seine Ohren in unsere Richtung
strecken. Jetzt nahm er wohl nach dem Spruch, dass der Lauscher an der Wand
seine eigene Schand hört, an, dass ich über ihn gelästert hatte. Nee, wollte
nur meinen Freund etwas aufmuntern. Hoffentlich war er nicht nachtragend.
Dann kam die Verwandte meines Freundes zurück, die uns
gefahren hatte und kurz nach draußen gegangen war.
„Ist was passiert?“
Das Klingeln an dem Raum, in den keiner gehen wollte,
hatte aufgehört. Leise, um nicht nochmals von den falschen Personen gehört zu
werden, flüsterte ich:
„Ja, da ist wohl gerade einer gestorben.“
„Was? Echt?“
„Nee, war ein Scherz. Aber da klingelt immer einer
hinter der Tür links und keiner kümmert sich um den. Wahrscheinlich hat er es
jetzt aufgegeben, oder er ist schon tot.“
„Geh doch mal gucken, was da ist?“
Aber in dem Moment kam die Krankenpflegerin und
forderte uns mit einem leichten Akzent in der Stimme auf: „Bitte kommen Sie
mit, das Bett ist jetzt vorbereitet.“
Wir gingen nach links, dabei kamen wir auch an dem
geheimnisvollen Zimmer vorbei. Die Tür stand offen und gab den Blick auf ein
kleines Räumchen mit einem Schrank an der hinteren Wand frei.
Der Schrank klingelte übrigens gerade wieder. Ich
richtete den Blick nach oben, über den oberen Türrand, woher der Summton kam,
und sah, dass dort ein elektronisches Schild angebracht war, auf dem gerade
eine Nummer angezeigt wurde. Ach so, dort befand sich die Klingel für alle
Zimmer. Gott sei Dank, also kein toter Schrank!
Dann folgten wir der Krankenschwester und kamen in ein
Krankenzimmer mit zwei Betten. An einem Tisch, der am Fenster stand, saß der
Mann mit der Pudelmütze. Hatten mir die beiden Augen auf der Mütze nicht zur
Begrüßung kurz zugeblinzelt? Wer hatte bloß die Idee für so eine Mütze gehabt?
„Guten Abend“, sagte mein Freund.
„Guten Abend“, antwortete der Herr.
„Welches Bett kann ich nehmen?“
„Das am Fenster ist frei. Und die rechte Seite vom
Schrank.“
„Danke“
Während mein Freund sich auf das Bett setzte, räumte
ich den Koffer aus und legte die Kleider in den Schrank.
„Sind Sie schon lange hier?“, fragte mein Freund den
Herrn mit der Pudelmütze.
„Ja, sehr lange. Ich wollte morgens zu meiner Arbeit
in die Bäckerei und bin dann auf einmal zusammengeklappt. Ja, und als ich dann
hier war, haben sie festgestellt, dass ich Krebs habe.“
„Oh!“
Wir blickten uns betroffen an. Das wünscht man keinem,
der nichts Böses getan hat.
„Also, in der Nacht muss ich öfters raus. Und da ich
nicht viel sehe, möchte ich fragen, ob wir das kleine Licht anlassen können?
Ja, und wenn ich plötzlich zusammenbreche, bitte sofort die Pflegekräfte rufen.
Das ist mir nämlich auch schon passiert.“
Nun, wenn man nicht im Krankenhaus Kranke trifft, wo
dann sonst!
Mein Freund meinte: „Sie hat es ja ganz schön
erwischt. Wie lange müssen Sie denn noch hier bleiben?“
„Weiß ich nicht, die Ärzte suchen ja noch und
demnächst habe ich eine Operation.“
„Entschuldigung“, sagte unsere Begleiterin, die uns
gefahren hatte. „Ich habe morgen Frühschicht und muss um 4 Uhr aufstehen. Daher
muss ich jetzt fahren, sonst komme ich morgen nicht aus dem Bett.“
Wir verabschiedeten uns also eilig, ich schrieb noch
auf, was ich am nächsten Tag meinem Freund mitbringen sollte und dann brachte
mich die Verwandte nach Hause.
Als ich am nächsten Tag mit den fehlenden Sachen in
das Krankenzimmer kam, lud mich mein Freund direkt in das Krankenhauscafé auf ein Getränk ein.
Nachdem wir an der Theke unsere Getränke gekauft
hatten und am Tisch saßen, fing er an zu erzählen.
„Du, mein Zimmernachbar redet ein wirres Zeug. Und
dann musste ich heute Morgen noch einen Hörtest machen. Ich habe keine Ahnung
warum, und die Piepstöne waren ganz schön nervig.“
Oha, da schien sich ja ein ungesundes Mikroklima zu
entwickeln!
„Also, warum du einen Hörtest wegen Nasenbluten machen
musstest, verstehe ich auch nicht. Frag doch mal den Arzt, wenn er das nächste
Mal kommt. Und mit deinem Zimmernachbarn rede ich mal. Ach so, und wenn du noch
mal den Grund einer Behandlung nicht verstehst – du hast das Recht, sie zu
verweigern. Dann mach das ruhig!“
Wir tranken noch unsere Getränke aus und dann fuhren
wir mit dem gesprächigen Lift, der jede Etage kommentierte, nach oben.
Im Krankenzimmer angekommen begrüße ich den Herren mit
der tollen Mütze, der am Tisch saß, freundlich: „Guten Morgen, wie geht es
Ihnen?“
„Nicht so gut“, meinte er, „ich soll in den nächsten
Tagen operiert werden, und ich weiß immer noch nicht, wann ich raus komme. Und
was sonst noch gemacht wird.“
„Ja, haben Sie Ihren Arzt denn nicht gefragt?“
„Ja, aber die scheinen auch nicht genau zu wissen, wie
lange das alles noch dauert. Und was noch alles gemacht werden muss.“
„Haben sie sich denn nicht mal selbst über Ihre
Krankheit informiert? Die Ärzte sind heutzutage so überlastet, dass sie schon
sehr dankbar sind, wenn Ihnen der Patient eine genaue Auskunft geben kann.
Schließlich wissen Sie ja am besten wo es wehtut.“
„Doch habe ich. Und als ich den Arzt nicht verstanden
habe, habe ich ihm mit allen Fachbegriffen des Bäckerhandwerks erklärt, wie man
einen Teig macht. Auf seine Frage, was das soll und was ich gerade gesagt
hätte, hab ich dann geantwortet, dass es mir genauso ginge, wenn er mir sein
Fachlatein an den Kopf wirft. Dann hat er mir das dann doch genauer erklärt.“
Ich grinste: „Haben Sie gut gemacht!“
Dann gingen wir gemeinsam seine Krankheit durch, und
so langsam kam System in das Ganze. Und dann meinte er: „Das mit der Krankheit
habe ich ja verstanden, aber mein Problem ist, dass ich jetzt Rente beantragen
muss, und die ganzen Formalitäten, die damit verbunden sind.“
Ah, da lag der Hase im Pfeffer! Sah so aus, als ob mal
wieder eine Gratisberatung angesagt sei, aber was tut Frau nicht alles für
einen angenehmen Klinikaufenthalt ihres Partners.
„Na“, meinte ich, „dafür sind dann die sozialen
Dienste da, wenn man niemanden in der Familie hat, der das machen kann. Bei
meinem letzen Auftrag habe ich mich sogar in die Berechnung von Alimenten
einlesen müssen.“
Er grinste: „Das Problem hatte ich glücklicherweise
nicht.“
Mein Freund grinste: „Ich auch nicht!“
Ich grinste: „Na, vielleicht hätte ich es früher ja
eher mal drauf ankommen lassen, wenn ich das vorher gewusst hätte.“
Seltsamerweise grinsten die beiden plötzlich nicht mehr.
Dann unterhielten wir uns über seine Probleme mit
seinem neuen Lebensabschnitt und als ich mich später verabschiedete, um nach
Hause zu fahren, war er schon sichtlich ruhiger.
Da mein Freund nur ein paar Tage bleiben musste,
übernahm seine Verwandte den nächsten Besuch und ich sah ihn erst wieder, als
ich zwei Tage später nach der Arbeit nach Hause kam.
„Na“, meinte ich erfreut, „da bist du ja wieder. Und,
wie sind die letzen Tage verlaufen?“
„Och“, antwortete er, „eigentlich habe ich mich mit
meinem Zimmernachbarn danach ganz gut verstanden. Und für den Hörtest hat sich
der Arzt entschuldigt, wäre ein Irrtum gewesen. Allerdings haben die Ärzte
gemeint, dass das Nasenbluten wohl von dem Sturz kommt, bei dem ich auf die
Nase gefallen bin. Da hätte sich was verschoben und müsste wohl gerichtet
werden. Aber das muss glücklicherweise nicht sofort sein.“