Nach der Arbeit war ich noch in die Stadt gegangen und hatte beim Metzger ein StĂĽck Fleischwurst fuer eine kleine Abendmahlzeit gekauft. Ich beschloss, die dazu gehoerenden Broetchen am Bahnhof zu kaufen, da gab es schliesslich auch einen Baecker. Am Bahnhof angekommen ging ich dann auch gleich zu der Baeckerei einer deutschen Baeckereikette und verlangte zwei Broetchen. Der Verkaeufer, der eine gesunde braune Haufarbe hatte, packte die Broetchen in eine Tuete, legte sie auf die Theke und sagte: "Das macht 1,99 Euro!"
"Ich bezahle doch nicht 1,99 Euro fuer zwei Broetchen! Nein danke!"
Anstandslos nahm der Verkaeufer die Broetchen zurueck und wandte sich an den naechsten Kunden. Ueberrascht ueber den Preis sah ich mir die Belegschaft genauer an: Der Verkaeuufer und seine Kollegin hatten beide eine gesunde braune Hautfarbe, anscheinend war Auslaenderschicht.
Profitierten die beiden davon, dass der Chef nicht da war, um die Preise zu erhoehen?
Na, dann kamen ja ganz neue Herausforderungen auf Deutschland zu!
Fuers Erste wandte ich mich ab, und kaufte an einem anderen Verkaufsstand ein belegtes Sandwich, das nur einige Cents mehr kostete. Auf meine Zwischenmahlzeit, Weck und Worscht, auf die ich mich schon gefreut hatte, musste halt warten.
Davonlaufen wuerde sie mir auf jeden Fall nicht.
Im Zug nach Wiesbaden dachte ich ueber die Broetchenpreise nach: Wie viele Broetchen muesste ich wohl zu Hause backen, um bei diesem Preis meinen Stundenlohn erwirtschaftet zu haben? Sollte ich vielleicht diese Stunden dann weniger arbeiten, weil ich dies ja durch mein Broetchenbacken wieder ausgleichen wuerde und dafuer zu Hause in Ruhe die Broetchen backen?
Ich musste zurueckdenken an die Anfaenge meiner Lehrtaetigkeit. Es war damals, waehrend der Krise gewesen, ausgeloest durch den Zusammenbruch einer amerikanischen Bank. Ich wurde gerade in die Verwaltung eines eingearbeitet, der auch Massnahmen der Agentur fuer Arbeit durchfuehrte.
Es war ziemlich stressig, die ganzen Gesetze zu lernen und die Schule immer funktionsfaehig zu halten. Und gleichzeitig die Teilnehmer einer neuen Massnahme zu betreuen, die aus dem Bezug des Arbeitslosengeldes I herausfielen und nun mit der AlgII-Gesetzgebung vertraut gemacht wurden.
In der ersten Woche tauchte die Dozentin oefters bei mir auf, und fragte mich nach den Gesetzen.
Irgendwann riess mir der Geduldsfaden, und ich erklärte ihr, ich koenne auch nicht alle Fragen beantworten und gab ihr einen Literaturhinweis.
Ende der Woche kam die Kuendigung von der Dozentin. Sie haette eine bessere Stelle.
Die zweite beklagte sich ueber aggressive Teilnehmer und meldete sich nach der ersten Woche krank.
Ich hatte auch so meine Probleme. Aber weniger mit den Teilnehmern des Kurses, die ich eigentlich ganz sympathisch fand, eher mit den seltsamen Wesen, die die verschiedenen Verwaltungsbueros bevoelkerten.
So verband ich einmal eine Dame mit einem "von" im Namen mit meiner Chefin, gab dabei zwar den Nachnamen richtig an, vergass aber dummerweise das "von".
Meine Chefin, die daraufhin diese Dame nur mit ihrem Nachnamen ansprach, fing sich natuerlich gleich einen Rueffel ein, da die Dame sehr viel Wert auf ihr "von" legte. Was mir meine Chefin dann spaeter freundlich erklaerte (Es war eine nette Chefin).
Also ergriff ich die Gelegenheit des Ausfalls der Dozentin beim Schopfe und erklaerte meiner Chefin, dass ich mit den Teilnehmern ganz gut zurechtkaeme und bereit waere, den Kurs zu uebernehmen.
Meine Chefin war erleichtert, nicht noch eine Dozentin suchen zu muessen und stimmte zu.
Einfach war der Wechsel nicht, als ich dann vor der Klasse stand, merkte ich, dass ich es mit hochkompetenten Leuten zu tun hatte, die teilweise noch nie arbeitslos gewesen waren. Und die Tatsache, dass der ALG-II-Satz nicht gerade hoch war, trug nicht unbedingt zur Hebung ihrer Stimmung bei.
Zu der Zeit hatte ich es mir angewoehnt, am Freitagabend in ein Lebensmittelgeschäft zu gehen, und kiloweise Fruechte zu kaufen. Es war Erntezeit, die Fruechte nicht zu teuer, und die Samstage verbrachte ich damit, daraus leckere Konfitueren zu machen. Als Entspannung sozusagen, denn es war ein Gefuehl, am Herd zu stehen, in den Toepfen zu ruehren und am Abend stolz das Resultat, eine lange Reihe leicht dampfender Marmeladegläser mit einem in satten Farben leuchtenden Inhalt zu sehen.
In dem Moment hatte ich die Gewissheit, etwas Nuetzliches getan zu haben, ohne dass jemand unzufrieden war oder mit seinen Problemen nicht zurechtkam. Dazu kam auch noch die Vorfreude auf die Brotmahlzeiten, die sicherlich gut schmecken wuerden.
Ich glaube, ich habe noch drei Jahre spaeter von der Marmelade gegessen, die ich in diesem Herbst kochte.
Ich Ueberschlug den Preis der Broetchen und schaetzte, dass ich meinen Studendenlohn von 2 Stunden heraus haette, wenn ich ebenfalls zwei Stunden lang Broetchen backen wuerde. Ich koennte dann ungefaehr zwei Wochen lang jeden Tag zwei aufgetaute Broetchen essen, die mich am Bahnhof 1,99 Euro kosten wuerden.
Und ich koennte mir meine Rezepte selbst aussuchen!
Als Hobbykoechin kannte ich einige Broetchenrezepte mit verschiedenen Mehlsorten und Oelen oder anderen Zutaten, die auch bei den Baeckern, die nicht am Bahnhof verkauften, etwas teurer waren. Und da ich schnell arbeitete, koennte ich vielleicht waehrend der Backzeit noch meine Kueche aufrauumen und haette am Wochenende weniger zu tun und mehr Zeit, meinen Unterricht vorzubereiten.
Allerdings, wenn das Broetchenbacken bei mir und meinen Kollegen einreissen wuerde, was sollte man dann mit den vielen arbeitslosen Baeckern machen?
Nun, da wir ja dafuer weniger arbeiten wuerden, wuerden auch Plaetze in den Fluechtlingskursen, den Altenheimen und den Kliniken frei, und da koennten ja die Baecker aushelfen.
Ueber diesem Gedankenspiel war ich am Wiesbadener Bahnhof angekommen, und beschloss, da ich etwas Wartezeit hatte, den Broetchenpreisen auf den Grund zu gehen. Schliesslich hatte ich ja noch meine Worschtin der Tasche. Ich fand auch die Baeckerei der gleichen Kette und guckte nun nach den Preisen von den Broetchen.
Tatsaechlich, da gab es ein Schild, auf dem stand: "3 Broetchen zu 1,99 Euro".
Die waren also wirklich so teuer!
Ich Ueberlegte: Gab es da nicht noch einen Biobaecker in der Bahnhofshalle? Bei den Preisen konnte der doch sicherlich eine Konkurrenz sein!
Ich ging zu dem Biobaecker und sah mir die Broetchen an: Sie sahen sehr gesund aus, voll gespickt mit Koernern und so gehaltvoll, dass man sie bestimmt beim Essen auf dem Magenbogen aufschlagen hoeren wuerde. Aber dafuer bekam man sicherlich nach einigen Stunden rote, gesunde Baeckchen und strahlende Augen.
Jedoch war der Preis auch nicht ohne: Das Billigste kostete 1, 25 Euro. Und war nicht sonderlich gross. Also, Baeckerei war wohl nichts. Der Metzger wuerde mir auch keine Broetchen ohne Wurst verkaufen. Blieb das Einkaufszentrum neben dem Bahnhof. Allerdings hatten die Geschaefte, in denen ich frueher immer eingekauft hatte, zugemacht, und in der unteren Etage herrscht gaehnende Leere. Die Schaufenster der leer stehenden Geschaefte waren mit Werbeplakaten fuer die noch existierenden Geschaefte in der oberen Etage verklebt. Eigentlich koennte man ja einige der vielen Fluechtlinge in den leeren Geschaeften unterbringen, schoss es mir durch den Kopf. Aber dann wuerde auch kein Kunde mehr in die Geschaefte der oberen Etage gehen, nahm ich an.
Also keine gute Idee!
Da war doch noch eine Drogerie im Bahnhof. Ich ging dorthin. Sie hatten gefrorene Broetchen im Tiefkuehlfach. Leider war das Wetter nicht so warm, dass sie in der Hand auftauen wuerden.
Gestrichen!
In einem Regal fand ich Croissants zu einem annehmbaren Preis. Aber Fleischwurst mit Croissant?
Heute mal nicht!
Auf dem Weg zurueck zum Bahnsteig sah ich dann bei der Brezelbaeckerei eine Salzstange zu einem annehmbaren Preis.
In der einen Hand die Salzstange, in der anderen die Fleischwurst, setze ich mich dann auf die Bank am Bahnsteig, um meine Worscht zu essen und auf den Zug zu warten.
Dabei dachte ich an den Griechen mit den inflationaeren Ideen, der momentan die EZB leitete, und fragte mich, ob er inzwischen aufgehoert hatte, Euros zu drucken und auf den Markt zu werfen. Schliesslich waren dem Broetchenpreis nach oben anscheinend keine Grenzen gesetzt.